eStress macht uns sozial
Kelly McGonigal spricht auch einen weiteren Aspekt von Stress an, der in der Öffentlichkeit bisher wenig Beachtung findet: Stress macht uns sozial. In Stresssituationen schütten wir unter anderem das sogenannte „Kuschelhormon“ Oxytozin aus, was die Stärkung von Beziehungen bewirkt. Je mehr Oxytozin ausgeschüttet wird, desto empathischer werden wir unseren Mitmenschen gegenüber. In Stresssituationen hat es den Zweck uns dazu zu bringen sich an andere mit der Bitte um Hilfe zu wenden und uns nicht mit unseren Problemen einzuigeln.
Das Hormon wirkt sich nicht nur auf das Gehirn aus, es bewahrt die Blutgefäße auch vor Verengung und stärkt sogar das Herz – wenn wir uns an unsere Mitmenschen wenden. Zwischenmenschliche Interaktion bewahrt uns also vor den negativen Auswirkungen von Stress!
In einer Studie wurde der Stresslevel und das soziale Engagement von Teilnehmern studiert und es konnte deutlich nachgewiesen werden, dass Menschen, die sich für andere einsetzen und sich um ihre Mitmenschen kümmern, sich körperlich eher von Stress erholen und dadurch möglichen Langzeitfolgen wie Herzerkrankungen vorbeugen. Das zeigt, dass wir einen eingebauten Mechanismus haben, um uns vor den negativen Langzeitfolgen von Stress zu schützen.
„If you choose to view stress in this way, you’re not just getting better at stress, [..] you’re saying that you can trust yourself to handle life’s challenges and you’re remembering that you don’t have to face them alone.”, Kelly McGonical.
Unsere zwischenmenschlichen Beziehungen – seien es freundschaftliche, familiäre oder romantische – und die Qualität dieser, sind ein entscheidender Faktor, wenn es darum geht, wie gut wir mit Stress umgehen. Heruntergebrochen ist es Liebe in welcher Form auch immer, die uns nach einer Stresssituation auftanken lässt und den Heilungsprozess aktiviert.
Das zeigt auch ein Experiment in dem Mäuse gezüchtet wurden, die genetisch dazu veranlagt waren Brustkrebs zu entwickeln. 80% dieser Mäuse entwickelten wie erwartet Brustkrebs. Ein Teil der Mäuse wurde durch Stromstöße dauerhaft in Stresszustände versetzt, woraufhin über 90% der Mäuse Brustkrebs bekamen. Der Stress bewirkte also einen Anstieg der Krebsrate. Das herausragende an dem Experiment ist das Ergebnis der anderen Mäusegruppe, die im Kontrast dazu mit Liebe überschüttet wurden: Die Mäuse wurden gestreichelt und liebkost, durften aus dem Käfig und mit anderen Mäusen plaudern. Sie ließen es sich richtig gut gehen – weniger als 40% dieser Mäuse entwickelten Brustkrebs! Der große Unterschied der Krebsrate überraschte selbst die Forscher.
In Therapien von extrem gestressten Patienten, werden diese häufig aufgefordert die Menschen zu denen sie irgendeine Form von Beziehung haben in verschieden großen Kreisen aufzumalen, die sie umgeben. So soll eine Darstellung geschaffen werden wie nahe diese Personen zu ihnen stehen, indem diese in einer entsprechenden Entfernung zu sich selbst platziert werden. Dabei achtet der Therapeut oder die Therapeutin vor allem darauf, ob sich jemand in unmittelbare Nähe des Patienten gemalt wurde und sich sozusagen in seinem engsten Kreis befindet.
Entscheidend ist nicht die Anzahl aller Kontakte, sondern der Kontakt zu dieser einen nahe stehenden Person – sei es der Partner ein guter Freund oder Familienmitglied. Wenn wir eine nahe stehende Person haben, die sich um unseren emotionalen Bedürfnisse kümmert, erhöht das unsere Stressresistenz wie kaum ein anderer Faktor. Aus therapeutischer Sicht brauchen wir mindestens eine Person, der wir uns mitteilen und bei Stress unser Herz ausschütten können. Es lohnt sich also wie nichts anderes Zeit und Energie in den Aufbau und die Pflege dieser Beziehung zu stecken.
Sei dein bester Freund
Auch Selbstliebe und wie gut wir uns selbst behandeln, ist ein entscheidender Faktor mit Hinblick auf unser Stresslevel. Wenn wir so gut zu uns selbst wären, wie beispielsweise zu unserem Hund, würden wir bereits den größten Teil an negativen gesundheitlichen Auswirkungen von Stress vorbeugen. Wir würden uns jeden Tag gesundes Essen gönnen, uns täglich an der frischen Luft bewegen, uns ausruhen, wenn wir müde sind und uns selbst immer liebevoll behandeln – auch wenn wir Fehler machen.
Wie kommt es also, dass wir unseren Hund besser behandeln als uns selbst und in Stresssituation besonders schlecht mit uns umgehen?
Dann schlafen wir in der Regel weniger, trinken Alkohol, essen ungesund und ziehen uns häufig vor unseren sozialen Kontakten zurück, die uns Kraft spenden könnten. Zu der Anstrengung die der Stress verursacht, muss unser Körper auch noch mit der zusätzlichen Belastung kämpfen, die durch die Vernachlässigung unserer Bedürfnisse entsteht.
Insbesondere Frauen scheinen sich meiner Beobachtung nach unter Druck zu setzen und mehr von sich zu erwarten, als gesund ist. Erst wenn alles erledigt ist, scheinen wir uns eine Auszeit zu erlauben. Doch was, wenn das einfach nie der Fall ist? Wenn die To Do Liste jeden Tag mehr Punkte dazugewinnt, als wir abarbeiten können?
Zahlreiche Studien belegen, dass wir die besten Leistungen erbringen, wenn wir uns selbst nicht unter Druck setzen und besonders gut zu uns sind. Je mehr Leistung wir nach Erschöpfung aus uns selbst rauszuquetschen versuchen, desto weniger erreichen wir. Je besser wir uns fühlen desto leistungsfähiger sind wir.
Zudem wird die To Do Liste niemals abgearbeitet sein. Danach zu streben ist ungefähr so zielführend wie den ganzen Tag im Hamsterrad zu laufen – wir kommen nirgendwo hin, sind aber völlig erschöpft.
Wie können wir es schaffen, aus dem Hamsterrad auszutreten und besser mit uns umzugehen?
Stelle dir regelmäßig folgende Frage: Was wäre, wenn? Was wäre, wenn ich diese Aufgabe nicht zu 100% meinen Ansprüchen entsprechend erfülle? Was wären die Konsequenzen? Es gäbe eigentlich keine? Nur die eigene Stimme in meinem Kopf, die unzufrieden ist? Dann reichen 80% völlig aus! Die Stimme hat dir nichts zu sagen, wenn sie dich nicht voller Liebe behandelt. Oft meinen wir immer 100% geben zu müssen, obwohl der Mehrwert für uns dadurch nur minimal ist (wenn es ihn überhaupt gibt). Warum sollen wir also an der Grenze zum Möglichen kratzen? Nur weil unser Ego das von uns fordert? Warum geben wir ihm so viel Kontrolle über uns? Wir müssen lernen, dass wir wertvoll sind so wie wir sind. Punkt. Wir können auf unser Innerstes hören, was wirklich wichtig ist für uns, um wenn es wirklich darauf ankommt 100% zu geben.
Die gute Nachricht ist: Liebe zu sich selbst kann erlernt werden. Ich weiß es, denn für mich war es eine der schwierigsten Lektionen meines Lebens. Diese Stimme in meinem Kopf, die mir einflüstert, ich wäre nicht gut genug, war eine lange Zeit mein treuer Begleiter. Doch ich schaffte es zu verinnerlichen, dass ich nicht nur wesentlich glücklicher wäre, wenn ich gut zu mir selbst bin, sondern auch noch bessere Leistungen erbringe, wenn ich mich nicht ständig unter Druck setze.
Führungsexpertin Vanessa Loder beschäftigt sich mit dem Dauerdruck, dem sich viele Frauen selbst aussetzen und wie sie sich dabei selbst bremsen obwohl sie sich davon mehr Leistung versprechen.
Zur Verdeutlichung, dass das nicht der richtige Weg sei, um seine Ziele zu erreichen, berichtet sie von Studien in denen den Teilnehmerinnen eine appetitliche Schokoladentorte präsentiert wurde. Dem ersten Teil der Gruppe wurde dazu eine Botschaft zur Bestärkung ihrer Selbstliebe übermittelt, während die zweite Gruppe mit Schuldgefühl Botschaften unter Druck gesetzt wurde diese Torte nicht zu essen. Der dritten Gruppe wurde die Torte neutral präsentiert, damit sie als Vergleichsgruppe dienen kann.
Die erste Gruppe, die sich vorab mit positiven Botschaften der Selbstliebe beschäftigten, haben 4-mal weniger zu der Torte gegriffen! Sogar die Testgruppe, die im Vorfeld keinerlei Botschaft erhielt, hat halb so oft zu der Torte gegriffen wie die Gruppe die mit Schuldgefühlen unter Druck gesetzt wurde.
„We’re better off doing nothing, than criticizing ourselves. Self-criticism falls apart. It does not work. And I believe it’s the biggest way that we’re holding ourselves back and keeping ourselves small.”, Vanessa Loder.
Lernen sich zu vergeben und sich mit Mitgefühl zu behandeln ist der Grundstein um sich gegen den täglichen Stress zu wappnen. Wenn du das nächste Mal einen Fehler machst und am liebsten losschimpfen würdest, wie doof du doch wieder bist, sag dir selbst, dass du wohl eine Pause brauchst, um wieder voll da zu sein. Sag dir, dass jeder Fehler macht und du dir verzeihst. Unsere Kapazitäten sind begrenzt. So lange wir jeden Tag an unseren Zielen arbeiten und uns Auszeiten gönnen, werden wir das erreichen, was uns wichtig ist. Alles andere muss dann so lange warten.
Besonders schön formuliert das Autorin Sarah Knight: „Give yourself a fuck budget and use it wisely.” Wir sollen nicht allem unsere Fucks geben (don’t give a fuck), sondern lernen mit unserem Fuckbudget sparsam umzugehen. Fucks definiert sie als Zeit, Geld und Energie. Nicht alles hat unsere Fucks verdient 😉
Falls wir das nicht lernen, laufen wir Gefahr auf kurz oder lang auszubrennen, indem sich unser Körper die Pause einfordert, die er so dringend braucht. Eine meiner ehemaligen Kolleginnen – eine äußerst erfolgreiche Change Managerin – erzählte mir wie sie eines morgens plötzlich ihren Körper nicht mehr bewegen konnte. Ich kann mir nur wage vorstellen, wie beängstigend das sein musste!
Jahrelang hatte sie versucht alle Aufgaben auf ihrer Do To Liste abzuarbeiten. Ihr Körper hatte Wochen und Monate nach einer Pause geschriehen, was sie erfolgreich ignoriert hatte. Bis der Zeitpunkt kam, wo er es sich einfach nicht mehr gefallen ließ. Sie wachte auf und konnte noch nicht einmal ihren Arm bewegen, geschweige denn aus dem Bett aufstehen. Sie musste wochenlang das Bett hüten, bis sie ihren Körper Stück für Stück wieder bewegen lernte. Danach änderte sie die Herangehensweise an ihre eigenen Ansprüche und war sogar erfolgreicher als zuvor. Sie fing an sich mit Meditation zu beschäftigen und verschob das erste Mal ihren Fokus von außen nach innen.
Mit Stress umgehen durch emotionales Bodybuilding
Regelmäßiges meditieren hilft mir mich immer wieder aufzuladen und vor Augen zu führen, wem oder was ich meine Fucks geben soll und wem nicht. Auch habe ich gelernt in meinen Körper immer wieder meinen Stressradar zu überprüfen. Dieser zeigt mir rechtzeitig, ob mich etwas belastet oder anspannt. Jeder hat vermutlich einen anderen Stressradar – bei mir sitzt er in den Schultern. Wenn ich währen der Meditation einen Körperscan durchführe oder einfach im Alltag zwischendurch meinen Fokus auf meine Schultern lege, merke ich schnell wie gestresst ich bin. Unbewusst ziehe ich meine Schultern in Stresssituationen hoch. Wenn ich den Fokus bewusst drauflege, kann ich sie bewusst entspannen und mir eine kleine Pause gönnen. Manchmal reicht auch schon ein bewusstes ein und ausatmen, um die Spannung rauszunehmen und die Gedanken nicht wie verrückt um Probleme kreisen zu lassen. Dein Stressrader könnte sich an einer anderen Stelle wir z.B. im Kiefer befinden. Vielleicht beißt du unbewusst deine Zähne zusammen oder neigst zu flacher Atmung. Gehe in Stresssituation einfach deinen Körper in Gedanken durch und achte darauf, was sich angespannt anfühlt.
Ein weiterer einfacher Weg in stressvollen Lebenslagen mehr Bewusstsein zu entwickeln ist die „innere Weisheit“ Meditation. Nimm dir dafür einige Minuten Zeit und stelle dir vor wie du dich ganz entspannt mit einer liebevollen und weisen Person unterhältst. Bespreche mit ihr alle Probleme, die dich belasten und befrage sie um Rat. So kannst du deinen Fokus aus der ängstlichen und sorgenvollen Perspektive in eine liebevolle und lösungsorientierte verwandeln. Du wirst dich wundern, welche guten Ideen deine innere Weisheit hat! Es steckt so viel in dir und du kannst es rausholen, wenn du es schaffst, die ständigen Sorgen und den Druck loszulassen.
Solche Übungen kannst du als emotionales Bodybuilding sehen. Je öfter und regelmäßiger du sie durchführst, desto leichter wird es dir fallen, mit Stress und allen herausfordernden Situationen umzugehen. Mach dir den Stress zum Freund und kämpf nicht gegen ihn an.